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Den Arm mal kurz gen Himmel gereckt – mehr Siegerpose gab es nicht. Ein Eis genehmigte er sich dann doch zur Belohnung und gegen den salzigen Geschmack auf den geschwollenen Lippen. Ozean-Schwimmer André Wiersig war nach seiner sechs Jahre währenden Herausforderung und mehr als 200 Kilometern in teils tosender See nicht sonderlich zum Feiern zumute. Es war auch kein Empfangskomitee zur Stelle, als der Extremsportler Pfingsten 2019 in der Straße von Gibraltar die letzte Etappe der „Ocean’s Seven“ bewältigt hatte. Eine innige Umarmung gab es mit seinem Schwager Jürgen Peters, der ihn all die Jahre im Beiboot begleitet hatte, ein paar Tränen auch und die Erkenntnis: „Wem Aufmerksamkeit und gutes Aussehen wichtig sind, für den ist das hier die falsche Geschichte.“
Eine Story mit dem Ziel, auf fünf Kontinenten sieben schwierige und gefährliche Kanäle zu durchqueren. „Du bist verrückt“ habe er sich nicht nur einmal anhören müssen. Zumal die strengen Regeln aus dem Jahr 1875, als der Brite Matthew Webb durch den Ärmelkanal schwamm, nur Badehose und Kappe erlauben. Vielleicht noch eine Schwimmbrille und ein bisschen Vaseline zum Schutz für die gestresste Haut. Neoprenanzug? Streng verboten. Als einziger Deutscher gehört er zum Kreis der fünf Frauen und zehn Männer, die diese einsame Prüfung in den Urgewalten der Meere bestanden haben. „Ich hatte Glück“, sagt Wiersig dem NDR Sportclub. „Viel Glück.“
Der 48-Jährige aus Paderborn, der in Hamburg als Vertriebsleiter arbeitet, hat den Ärmelkanal bezwungen, den Kaiwi-Kanal auf Hawaii, den North Channel zwischen Schottland und Irland, den tiefen Kanal zwischen der Felseninsel Santa Catalina und der Küste Kaliforniens, die Tsugaru-Straße zwischen Honshu und Hokkaido im Norden Japans, die Cook-Straße zwischen der Nord- und Südinsel Neuseelands und schließlich die Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko. Er hat der Einsamkeit im dunklen und bisweilen eiskalten Wasser getrotzt und brutalen Strömungen, die das Fortkommen zur gefühlten Ewigkeit werden ließen.
Gefräßigen Haien oder den langen Tentakeln der Portugiesischen Galeere, einer besonders giftigen Quallenart, ist er entkommen. Im NDR spricht Wiersig auch über die unvorstellbaren Massen an (Plastik-)Müll, die ihn zu einem entschlossenen Anwalt der Meere gemacht haben. „Wir sind Gast im Ozean“, sagt er, und sein Blick verfinstert sich. Jedes Jahr landen laut „World Wide Fund for Nature“ (WWF) bis zu 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer. „Ich schäme mich für uns alle.“ Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, davon zu erzählen. Von der Panik, die ihn überfiel, als er sich in einer Plastikplane verheddert hatte. Oder von der schmerzhaften Begegnung mit einer Europalette. „Auf einmal ist man in derselben Situation wie die Tiere“, sagt Wiersig und appelliert: „Wir müssen uns verändern. Sonst ist bald Feierabend.“
Handeln ist angesagt, und das tut der Marathonschwimmer als Botschafter der Deutschen Meeresstiftung. „Es ist wichtig, dass einer für den Ozean spricht. Meine erbrachte Leistung und die Filme, Fotos und Berichte können helfen“, sagt Wiersig, der schon als Teenager die Freude am Open-Water-Schwimmen entdeckt hat.
Das Schlüsselerlebnis für seine Leidenschaft war ein eisiges Bad im für gewöhnlich warmen Mittelmeer. An diesem Morgen im Februar 2011 erschrak Wiersig beim Versuch, eine Boje ein paar hundert Meter vor dem Strand von Ibiza zu erreichen. Die Kälte hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes den Atem geraubt. Der Versuch scheiterte kläglich. Eine inakzeptable Niederlage. Ein „Warmduscher“ wollte er nicht sein. Also kaufte er im Baumarkt eine Eistonne und startete sein ganz spezielles Abhärtungsprogramm. Bis zu 20 Minuten lang stieg er Tag für Tag in den Bottich unter dem Carport. Überstand 9,5 Grad Celsius. „Es bleibt immer kalt. Man kann sich doch nicht stundenlang einreden, dass es nicht kalt ist, wenn es doch kalt ist. “
Im folgenden Winter schaffte er die Strecke zur Boje – und machte zwei Jahre später im Ärmelkanal weiter. Auftakt zum „Ocean’s Seven“. Verewigt auf einer Tafel. Schmucklos und mit einem Fehler, der ihn bei jedem Besuch zum Schmunzeln bringt. „Ich finde es irgendwie spaßig“, sagt der Dauerschwimmer und zeigt auf die Stelle, an der es Andrea statt André Wiersig heißt. Am 2. September 2014, kurz vor fünf Uhr morgens, begann die Tortur. Auf der Karte hatten sie 33,2 Kilometer errechnet. Tatsächlich aber musste er in der Strömung 45,88 Kilometer schwimmen, bevor er nach 9:45 Stunden in Frankreich anlandete.
Zwölf Monate später brach er mitsamt der Familie zur zweiten Etappe nach Hawaii auf. Als Triathlet war er Jahre vorher und viele Kilo leichter schon mal dort gewesen.
Nun hatte er „bewusst Fett draufgelegt“ für die Durchquerung des Kaiwi-Kanals. „Ein Modellathlet zu sein, ist der Sache nicht zuträglich“, sagt er. Nach 44 Kilometern und 18:26 Stunden war er froh über das zusätzliche Polster auf den Rippen. Die längste Distanz hatte er bei reichlich hohen